Plötzlich stand die Welt still – Marley und ich.

„Am 23.03.2020 spürte ich so gut wie keine Kindsbewegungen mehr und ab diesem Zeitpunkt war ich mir sicher, dass etwas nicht stimmt.“ 

Interview mit Christine und Janina. 

Christine: „Danke Janina, dass du dich bereit erklärst, das Interview mit mir zu führen. Ich hoffe, es hilft dir, dein Schicksal mit anderen Müttern, Vätern, Omas und Opas zu teilen. Ich bedanke mich auch für deinen Mut und deine Offenheit. Gemeinsam schaffen wir es, dass Sternenkinder kein Tabuthema mehr sind. 

Christine: „Möchtest du kurz etwas über dich erzählen? Möchtest du mir dein Alter verraten? Wo du lebst und wie es dir momentan geht?“ 

Janina: „Also ich bin Janina, 30 Jahre alt und komme aus Flensburg. Momentan geht es mir sehr gut, da ich unsere zweite Tochter gesund und munter zur Welt gebracht habe.“ 

Christine: „Herzlichen Glückwunsch zur Geburt deiner Tochter. Ich freue mich, dass Sie gesund und munter ist. Wann hast du Marley, deinen Sohn (Sternenkind), geboren?“ 

Janina: „Ich habe unseren Sohn Marley am 28.03.2020 in der 26. SSW still zur Welt gebracht. Am 24.03.2020 wurde sein Tod festgestellt. Die Woche davor war ich am Freitag zur Routineuntersuchung und es war noch alles in Ordnung.“ 

Christine: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie schlimm das sein muss. Ein paar Tage davor war noch alles in Ordnung und auf einmal ist kein Leben mehr da. Es tut mir sehr leid! Hast du Anzeichen gespürt, dass etwas nicht stimmt?“ 

Janina: „Marley wurde sehr ruhig, im ersten Moment dachte ich mir allerdings nichts dabei. Ich dachte es ist okay und normal, dass er nicht immer nur am Rumspringen ist. Ich habe noch leichte Bewegungen wahrgenommen. 

Am 23.03.2020 spürte ich allerdings so gut wie nichts mehr und rief daraufhin bei meiner Frauenärztin an. Ich durfte von der medizinischen Fachangestellten aus nicht kommen. Sie meinte, dies wäre normal. Das war der schwerwiegendste Fehler, den ich ihr bis heute nicht verzeihen kann. Am 24.03.2020 rief ich nochmals an und durfte kommen. Mir war zu Hause schon bewusst, dass Marley nicht mehr lebt. Ich wollte es aber nicht wahrhaben. Die Situation war an sich schon schlimm genug und nun musste ich auch noch den Ultraschall alleine machen. Mein Partner durfte aufgrund der Corona-auflagen nicht mit. Es hat mich traumatisiert. Meine Frauenärztin war nicht da und es musste ihr Kollege machen.“ 

Christine: „Ich kann meine Gefühle schwer ausdrücken. Durch die Pandemie warst du gezwungen, alleine zu sehen, dass Marley tatsächlich nicht mehr am Leben war. Dein Partner durfte nicht bei dir sein und deine Hand halten. Als wenn dies nicht alles schon schlimm genug ist, musste auch noch ein anderer Frauenarzt dich untersuchen und dir mitteilen, dass dein Sohn nicht mehr lebt. Ich denke, ich spreche für einige, wenn ich sage, dass es ganz klar ist, dass du traumatisiert bist. Wurdest du denn von Ärzten, Hebammen etc. gut beraten und betreut?“ 

Janina: „Im Krankenhaus waren alle sehr fürsorglich. Trotz Coronapandemie durfte mein Partner die ganzen fünf Tage bei mir im Krankenhaus bleiben. Die Seelsorger vom Krankenhaus waren sehr einfühlsam und kamen mit kleinen Geschenken wie Socken und Engelchen für unseren Sohn Marley. Was mich sehr rührte, auch immer noch rührt. Als ich wieder zu Hause war, kam auch meine Hebamme und war für uns da. Sie hat uns viel Trost gespendet und blieb auch in den letzten beiden Schwangerschaftswochen meine Hebamme. Das hat mich sehr glücklich gemacht.“ 

Christine: „Tatsächlich hat mich dies zu Tränen gerührt. Ich habe leider schon oft gehört, dass Ärzte und Krankenschwestern das Thema Fehlgeburt schnell abtun. Es freut mich, dass es bei dir nicht so war. Wie hat dein Sternenkind dich verändert?“ 

Janina: „Er hat mich enorm verändert. Marley hat mir gezeigt, was bedingungslose Liebe gegenüber Menschen ist. Ich habe Marley noch nicht gesehen und spürte schon diese unendliche Liebe. Er hat mir zwei wunderbare Kinder geschenkt und gibt mir Kraft und Hoffnung, dass alles gut wird. Ich sehe das Leben seitdem mit einem anderen Blick und versuche so viel wie möglich an Erinnerungen aufzusaugen.“ 

Christine: „Wow – Eine wahnsinnige Veränderung! Hat dieses Schicksal euch als Paar belastet? Wie geht ihr damit um?“ 

Janina: „Wir gehen offen mit dem Thema um. Wir erzählen immer, dass wir drei Kinder haben, nur das eines davon im Himmel ist und uns beschützt. Wir versuchen andere zu unterstützen, die richtigen Worte zu finden oder wie man helfen kann. Mein Partner hat immer den Part übernommen, unseren Freunden davon zu erzählen, wenn sie uns besuchen kamen. Sie wussten nicht, was sie sagen sollten. Wir haben Sie versucht zu unterstützen und das machen wir immer noch.“ 

Christine: „Ich kenne dich nicht persönlich Janina, aber für mich sagt dieses Interview aus, dass du unheimlich viel Kraft hast. Du hast auch noch etwas über deine und seine Familie zu sagen. Was hat dich dort am meisten bewegt?“ 

Janina: „Am meisten haben mich die Reaktionen meiner und seiner Familie bewegt. Alle freuten sich, dass ich schwanger bin. Niemand hatte damit gerechnet, da ich erst im vierten Monat herausgefunden habe, dass ich schwanger bin. Mein Sohn hat mir in seiner kurzen Zeit so viel gegeben und mir so eine schöne Schwangerschaft geschenkt, die ich nie in meinem Leben vergessen werde.“ 

Christine: „Es war sicherlich eine Überraschung, aber eine schöne. Möchtest du mir noch den Ablauf deiner stillen Geburt erzählen?“ 

Janina: „Am 24.03.2020 kam ich ins Krankenhaus und wurde mit Cytotec eingeleitet, am 28.03.2020 um 12 Uhr kam unser wunderschöner Sohn Marley zur Welt. Es war sehr emotional und sehr intim. Wir durften eine Zeit lang alleine sein, bis die Hebamme zurückkam, um die Karte auszufüllen, einen Fußabdruck für uns zu machen und ein wunderschönes Bild von Marley. Danach kamen wir auf die Station zurück und durften so viel Zeit mit unserem Sohn haben, wie wir wollten. Wir hatten wunderschöne 24 Stunden mit Marley verbracht. Wir waren traurig und haben sehr viel geweint. Stolz waren wir allerdings auch auf unseren Sohn. Wir haben Marley Geschichten erzählt und vorgelesen. Am 29.03.2020 sind wir seinen vorerst letzten Gang mit ihm gegangen und haben Marley dem Krankenhaus übergeben. Wir haben eine pathologische Untersuchung veranlasst, mit der Hoffnung herauszufinden, weshalb er gestorben ist, aber es kam leider nichts dabei raus.“ 

Christine: „Diesen Abschnitt musste ich öfters lesen, weil es mich total gerührt hat, wie schön Ihr euch von Marley verabschiedet habt und wie schön Ihr es vor allem eurem Sohn gemacht habt. Hast du noch weitere Kinder? War es ein Grund für dich keine weiteren Kinder zu bekommen?“ 

Janina: „Wir haben zwei wundervolle Töchter. Für uns war im Krankenhaus schon direkt klar, dass wir schnell wieder schwanger werden wollten. Es hat drei Monate später auch schon geklappt. Sie kam am 03.03.2021 zur Welt und unsere zweite Tochter am 09.06.2023.“ 

Christine: „Nun ist Marley großer Bruder. Er passt mit Sicherheit sehr auf seine Schwestern auf. Welche Gedanken und Gefühle hast du heute noch über Marley?“ 

Janina: „Trauer, Glück und wie er heute wohl wäre, was er schon alles könnte. Dieser Gedanke verfolgt mich schon fast täglich wenn ich sehe, was seine jüngere Schwester alles schon kann. Ich hätte ihn so gerne kennengelernt. Marley ist immer bei uns und steht präsent bei uns in der Wohnstube in einer Vitrine.“ 

Christine: „Ich würde mir in dieser Hinsicht auch dieselben Fragen stellen. Wie geht es dir und deinem Partner aktuell?“ 

Janina: „Gut, wir kommen gut damit zurecht zu Marleys Geburtstag machen wir immer sein Grab schön bunt und gestalten es mit der Familie neu. Wir gehen weiterhin offen damit um, es tut aber trotzdem noch weh, das wird auch nicht verschwinden. Es gibt auch Tage, in denen wir uns in den Armen liegen und weinen.“ 

Christine: „Ein solcher Verlust kann sich auch nicht in Luft auflösen. Ihr verarbeitet es beide zusammen und an manchen Tagen ist es einfach schwerer als an anderen. Dass ihr Marleys Grab neu gestaltet, an seinem Geburtstag finde ich so schön. Ich kann mir vorstellen, wie bunt es ist. Was würdest du anderen sagen, die dasselbe Schicksal erleiden wie du/ihr?“ 

Janina: „Geht offen damit um, holt euch Hilfe, wenn ihr es alleine nicht schafft. Es ist nicht schlimm, sich Hilfe zu holen. Lasst euer Kind weiter Leben. Er oder sie werden ein Teil eures Herzens sein und einen Teil davon mitnehmen. Es ist egal, ob ihr in der 4. SSW oder in der 28. SSW seid, es ist euer Kind und es lebt in euch weiter.“ 

Christine: „Danke liebe Janina, es hat mich unheimlich gerührt über dein Schicksal/euer Schicksal zu schreiben. Es ist schön zu lesen, dass ihr als Paar standhaft seid und Ihr es gemeinsam bewältigt. Ich freue mich, dass Ihr zwei wunderbare Mädchen habt und einen Sohn, der immer bei euch ist. Marley passt auf euch auf. Er ist immer ein Teil in eurer Mitte. Lasst uns alle Marley nicht vergessen und vielleicht an seinem Geburtstag eine Kerze anzünden.“