Ninas Geschichte

“Hallo, vorab möchte ich mich bei Euch für all eure Mühe, euer Herzblut und Anteilnahme bedanken. Ich selbst bin eine verwaiste Mama. Meine Geschichte begann vor 13 Jahren. Die Nachricht das ich schwanger war kam für mich ungeplant und völlig überraschend. Aber nach dem ersten Schock habe ich mich doch auf mein kleines Krümelchen gefreut. Bis am 7.12.2003 alles anders wurde.

Ich war in der 27. Schwangerschaftswoche. Ich bin Mittags mit unserem Hund spazieren gegangen und plötzlich zog ein Stich durch meinen Bauch. Ein einziger schmerzhafter Stich. Danach hatte ich keine Schmerzen mehr. Als ich wieder zuhause war musste ich auf die Toilette und es fühlte sich sehr komisch an. Ich legte mich etwas hin und dachte ich brauche nur etwas Ruhe. Ein paar Stunden später musste ich wieder und wieder war da dieses komische Gefühl. Ich sagte meiner Mutter bescheid und sie fuhr mit mir ins Krankenhaus. Der Gedanke das es etwas Ernstes sein könnte kam mir nicht. Das Thema Frühgeburt war so weit weg. Das passiert das doch immer nur anderen. Ja es war naiv von mir und eine Angstverdrängung.

Im Krankenhaus wurden die üblichen Untersuchen gemacht und schnell war klar das wirklich etwas nicht stimmte. Mein Muttermund hatte sich bereits geöffnet und die Fruchtblase war schon deutlich rausgetreten. Ich wurde sofort stationär aufgenommen und durfte nur noch liegen. Es wurde alles versucht den Krümel solange wie möglich weiter in mir zu tragen. Aber es war schon zu weit. Nachts kam ich in den Kreissaal und morgens um 06:08 wurde mein Krümel per Notkaiserschnitt geholt. In der 27. Sww. Natürlich musste er sofort auf die Neonatalstation. Ganz alleine. Ich durfte noch nicht aufstehen. Meine Mutter fühlte sich zerrissen, sie wollte mir beistehen aber auch dem kleinen Krümel. Ich bin fast wahnsinnig geworden, hatte ich ihn doch noch nicht einmal gesehen. Man sagte mir, dass es ihm aber den Umständen entsprechend gut gehe. Mittags hatten die Ärzte dann ein Herz und ließen mich zu ihm. Mein kleiner Krümel, endlich konnte ich ihm beistehen und ihm einen Namen geben. Aus meinem kleinen Bauch-Krümel wurde mein winziger Gian. 36cm Groß, 990 g schwer. Soviele Schläuche. Und alles was ich tun konnte, war ihn mit einem Finger streicheln. Aber die Prognosen standen an diesem Tag noch recht gut. Ich blieb so lange ich konnte. Die erste Nacht ohne meinen Bauch-Krümel war schwer. Am nächsten Morgen bin ich sofort zu ihm. Dann kamen die Ärzte. Gian hatte in der Nacht Hirnblutungen bekommen. Es sei aber noch nicht so schlimm. Sie konnten sie stoppen. Stunden lang habe ich bei ihm gesessen, hab ihm erzählt das zuhause noch viele auf ihn warten und das er eine fast gleichaltrige Cousine zuhause haben wird. (Meine kleine Schwester war auch schwanger. Ihr Kind sollte nur 10 Tage nach Gian kommen. Wir haben zusammen bei unseren Eltern gewohnt und die Kinder sollten sogar in ein Zimmer.) Meine Mutter kam auch und brachte eine kleine Spieluhr mit. Der 2. Tag endete komplikationslos. Die 2. Nacht nicht. Wieder bekam Gian Hirnblutungen. Diesmal in die andere Hirnkammer. Wieder konnten sie die Blutungen stoppen. Am 3. Tag. war alles gut und man schöpfte wieder Hoffnung. Die 3. Nacht, ich hatte schon Angst ihn allein zu lassen und wäre am liebsten die ganze Nacht bei ihm geblieben. Und die Angst war berechtigt. Die Ärzte empfingen mich schon an der Tür und wollten mit mir reden. Gian hatte wieder Blutungen. Wieder konnten sie gestoppt werden. Aber zu spät. “Frau Ahlers, das ganze Gehirn ist voll. 100% körperlich und geistig behindert. Wir glauben nicht, dass er die nächsten Tage überleben wird.” Diese Sätze werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Wie kann das sein? Ich kenne ihn doch kaum. Ich hatte ihn noch nie auf dem Arm. Konnte ihn noch nicht einmal auf die Stirn küssen. Hab doch seine Augenfarbe noch nie gesehen. Was hab ich falsch gemacht? Ich hatte ihn doch noch nie auf dem Arm. Das war der stärkste Gedanke von allen. Ich rief meine Mutter an. Sie und mein Stiefvater kamen sofort. Dann die Frage nach einer Nottaufe. Ja das wollte ich. Ich bekam einen Zettel mit Tauffsprüchen. 99% beinhalteten die Worte “Gnade Gottes”. Hallo???? Gnade??? Mein Kind, dass ich kaum kannte, dass ich nie auf dem Arm hatte, sollte sterben. Wo bitte ist da Gnade? Aber wir haben noch einen schönen Spruch gefunden und so wurde er am 11.12.2003 um 12 Uhr getauft. Um 15 Uhr bekam ich meinen Gian dann doch auf den Arm. Zum sterben. Meine Mutter und mein Stiefvater waren die ganze Zeit bei mir. Und auch meine Mutter durfte ihn zum ersten und zum letzten Mal in den Armen halten. Ich konnte nicht viel sagen. Wir haben uns nur angesehen, mein Gian und ich. So um 17 Uhr rum wurde er ein wenig unruhig. Ich gab ihm einen Kuss auf die Stirn und sagte ihm dass es in Ordnung ist. Ich habe mich verabschiedet und er ist eingeschlafen. Ganz ruhig und friedlich. Ohne Schmerzen. In meinen Armen.

An die Zeit bis nach der Beerdigung und noch ein paar Wochen danach kann ich mich nur noch schattenhaft erinnern. Aber nach und nach kam ich aus meiner Starre heraus. Ich wollte das auch Gian ein Andenken hat. Wie alle Babys. Also fing ich an ein Babyalbum für ihn zu machen. Ich habe ein Album gefunden, was genau zu ihm passte. Viele Fotos konnte ich nicht hinein kleben. Aber die Karten die er bekommen hat. Sein Klinikbändchen, seine Bettkarte. und eben Fotos von der Beerdigung. Ich schrieb ihm Briefe und klebte sie hinein. Geschichten über Sternenkinder, Gedichte und meine Gedanken. Da zog sich über Monate hin und wurde für mich zu einer Bewältigungshilfe. Durch den Tod meines Sohnes habe ich viele Freunde verloren. Sie kamen mit der Situation nicht zurecht. Wussten nicht wie sie mit mir umgehen sollten. Dabei wollte ich gar nicht anders behandelt werden als vorher. Aber wer nicht selbst davon betroffen ist, will darüber auch nichts hören. Aber ich verschweige meinen Sohn nicht. Auch heute rede ich noch über ihn. Gian hat noch 4 Geschwister. 1 größeren Bruder, 2 kleinere Brüder und eine kleine Schwester. Sie alle wissen wer Gian ist. Die Kleine kann es noch nicht verstehen, sie ist erst 2 aber auch sie geht zum Fotoalbum wenn mal von Gian die Rede ist. Und auch nach 13 Jahren vermisse ich meinen kleinen Krümel.

Ich habe versucht mich kurz zuhalten, was leider nicht ganz gelungen ist. Es ist für mich das erste Mal dass ich das alles niederschreibe. Reden ist irgendwie einfacher.

Herzliche Grüße Nina”

Liebe Nina,

vielen Dank für deine Offenheit und dass Du deine Geschichte mit uns geteilt hast. Mit deinem liebevoll gestalteten Album ist er nicht nur im Herzen immer bei Dir und deiner Familie, sondern auch in Bildern, Erinnerungen und deinen Geschichten.

Bist Du auch Sternenkindmama oder hast Du ein Frühchen bekommen. Kennst Du diese Ängste und Sorgen, den Trauer und Schmerz? Wir freuen uns, wenn Du uns deine persönliche Geschichte erzählst, denn Du gibst damit dem Thema eine Stimme. Deine Stimme. Wir freuen uns auch, über ein Foto dazu (z.B. ein Ultraschallbild) aber das ist keine Voraussetzung, auf Wunsch veröffentlichen wir deinen Bericht auch anonym. Wir wissen, wie schwer es ist darüber zu reden, aber vielleicht kannst Du uns deine Geschichte schreiben. Eine Geschichte, die vielleicht anderen Sternenkindmamas Trost spendet, oder die zeigt, wie Du den schweren Verlust verarbeiten konntest. Eine Geschichte, die anderen Frühchenmamas Mut macht.

Sende uns deine Geschichte an naehenfuerfruehchen@gmx.de mit dem Betreff “Herzenssache – Meine Geschichte”